Irland

Der Hungerstreik von IRA-/INLA- Gefangenen 1981

von Kirsten Knaack

2.1 Abschaffung des politischen Status und der Decken- und Schmutzstreik

Nach dem Scheitern des ‘Sunningdale- Agreements’[15] 1974 entschied sich das Londoner Nordirlandministerium 1975, ‘Gesetz und Ordnung’ durch die Kriminalisierung der verschiedenen bewaffneten Gruppierungen in den sechs Grafschaften wiederherzustellen. Dazu gehörte die Abschaffung des politischen Status für verurteilte Angehörige der republikanischen bewaffneten Widerstandsgruppen, sowie der loyalistischen Paramilitärs ab März 1976. Damit sollten sie wieder unpolitischen Gefangenen gleichgestellt werden, was die Abschaffung der in der Fußnote 12 des vorangegangenen Kapitels dargestellten Bedingungen besiegelte sowie die Pflicht der Gefangenen, Gefängnisarbeit zu leisten und Gefängniskleidung zu tragen.

Für die republikanischen Gefangenen war die Abschaffung des politischen Status ein nicht tragbarer Zustand. Der erste IRA- Gefangene ohne POW- Status, Kieran Nugent, weigerte sich im September 1976, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Da er die Gefängniskleidung nicht tragen wollte, trug er bis auf eine Wolldecke nichts. Der ‘Deckenprotest’ war geboren und die meisten ihm folgenden Gefangenen der IRA und INLA taten es ihm gleich[16]. Die Situation der Gefangenen eskalierte jedoch, da Gefängniswärter die Internierten auf dem Weg zur Toilette oder Dusche mißhandelten und die Toilettenschüsseln in den Zellen umstießen, so daß der Urin über Matratzen und Decken lief[17]. Daraufhin begannen die Gefangenen einen ‘Schmutzstreik’, d.h. sie wuschen und rasierten sich nicht mehr und weigerten sich, ihre Toilettenschüsseln auszuleeren. Ihre Exkremente schmierten sie an die Zellenwände oder gossen den Urin unter den Zellentüren hindurch. Die einzige Stunde Hofgang pro Tag wurde daraufhin gestrichen, so daß die Inhaftierten 24 Stunden am Tag in ihren Exkrementen saßen, nur mit einer schmutzigen Decke bekleidet.

Im Juni 1978 forderte Amnesty International die Einrichtung einer Untersuchungskommission über die Bedingungen in nordirischen Gefängnissen. Im Juli 1978 besuchte Erzbischof (später Kardinal) Tomas O´Fiaich aus Armagh die Gefangenen und verurteilte danach aufs Schärfste deren Lebensbedingungen:“Having spent the whole of Sunday in the prison, I was shocked at the inhuman conditions prevailing in H- Blocks 3,4 and 5 where over 300 prisoners were incarcerated. One would hardly allow an animal to remain in such conditions, let alone a human being. The nearest approach to it that I have seen was the spectacle of hundreds of homeless people living in sewer pipes in the slums of Calcutta. The stench and filth in some cells, with the remains of rotten food and human excreta scattered around the walls, was almost unbelievable. In two of them I was unable to speak for fear of vomiting.

The prisoners cells are without beds, chairs or tables. They sleep on mattresses on the floor, and in some cases I noticed they were quite wet. They have no covering except a towel or blanket, no books, newspapers or reading material except the Bible (even religious magazines have been banned since my last visit), no pens or writing material, no TV, or radio, no hobbies or handicrafts, no exercise or reception. They are locked in their cells for almost the whole of every day and some of them have been in their condition for more than a year and a half.“ (White, S.110 f.)[18]

Der Report von Amnesty erreichte zwar eine gewisse Publizität, brachte jedoch keine Änderung der Bedingungen der republikanischen Gefangenen in Long Kesh. Im Oktober 1979 gründete sich das ‘National H-Block/ Armagh Committee’[19], was sich um die Belange der Gefangenen in Long Kesh und Armagh kümmern wollte und eine große Verbreitung ihrer Forderungen in ganz Irland und international erhoffte (vgl. White, S.111).

Die Reaktion der loyalistischen Paramilitärs auf das Auftauchen der Bedingungen der Insassen von Long Kesh in den internationalen Medien war eine gezielte Mordkampagne gegen mehrere AktivistInnen des ‘H-Block/ Armagh- Committees’ (vgl. Schulze- Marmeling/ Sotschek ,S. 126).

1980 stellte das Komitee zusammen mit den TeilnehmerInnen des Decken-/ Schmutzstreiks einen 5- Punkte- Katalog von Forderungen auf (‘Five demands’):

1. Das Recht, eigene Kleidung zu tragen.

2. Das Recht, keine Gefängnisarbeit leisten zu müssen.

3. Das Recht der freien Zeitgestaltung mit anderen Gefangenen.

4. Wiederherstellung der Möglichkeit von einem Erlaß von 50% der zu verbüßenden Strafe[20].

5. Das Recht, einen Besuch, einen Brief und ein Paket pro Woche zu erhalten sowie das Recht, Bildungs- und Freizeitaktivitäten zu organisieren.

(vgl. Taylor, S.229 sowie Coogan 1, S.489)

Da die britische Regierung mit der in Fußnote 18 aufgeführten Begründung auf keine der Forderungen einging und Vermittlungsversuche von Cardinal O´Fiaich ebenso scheiterten, entschieden sich die IRA- Gefangenen unter Brendan Hughes einen unbefristeten Hungerstreik zu beginnen, um ihre ‘five demands’ zu untermauern.

[15] Das ‘Sunningdale- Agreement’ sah eine Gewaltenteilung in einer nordirischen Regionalregierung vor, die sich in ähnlicher form im ‘Good- Friday- Agreement’ 1997 findet.

Da das unionistische/ loyalistische Lager seine Privilegien in Gefahr sah, organisierte die loyalistische Gewerkschaft UWC (Unionist Worker´s Council) mit Hilfe der Paramilitärs einen Generalstreik in den sechs Grafschaften. Aufgrund dieses Drucks ließ die britische Regierung nach dem Rücktritt des Präsidenten des Regionalparlaments in Stormont, Brian Faulkner, die Macht über die Region wieder nach London zurückkehren (ausführlich hierzu: Don Anderson: 14 May Days, Dublin, 1994).

[16] Auf dem Höhepunkt des Deckenprotestes waren etwa 400 republikanische Gefangene ‘on the blanket’, etwa die Hälfte aller Republikaner,die in Long Kesh inhaftiert waren.

Einer der ersten Gefangenen, die Nugent folgten, war Gerry Hodgkins (IRA). In einem Interview beschreibt er seine Entscheidung folgendermaßen: “(...) I believed I was a political prisoner at the time. That the offences for which I was held for were all politically motivated ones. And I didn´t see the logic in the British government- saw again that had them offenses been committed before the first of March 1976, I would be a political prisoner. It turned out I was arrested on the fourth of May, 1976, which is only two months after the date, yet they were saying that you weren´t a political prisoner, you were a criminal. So, I wasn´t prepared to- and it´s a personal thing where you didn´t want to criminalize yourself. And then the whole struggle would be criminalized, by wearing a prison uniform. A prison uniform and accepting that you were a criminal.“ (White, S. 109f.)

Infolge des Deckenstreiks wurden den Teilnehmern Sportmöglichkeiten, Möglichkeiten zum Lesen und Schreiben, die sämtliche Möblierung der Zelle (bis auf eine Matratze) sowie Radios und Zeitungen verweigert.

[17] Die Matratzen und Decken waren (s.o.) der einzige Inhalt der Zelle; die Decken waren die alleinige Kleidung der Streikenden.

Die IRA reagierte derweil auf die Bedingungen in den Gefängnissen, die sich im Frauengefängnis Armagh ähnlich, lediglich zeitverzögert, entwickelten. Zwischen April 1976 und Januar 1980 wurden 18 Gefängniswärter erschossen (vgl. White, S.110).

[18] Im August 1978 gab das NIO (Northern Ireland Office) hierzu passend folgenden Kommenatr ab: „These criminals are totally responsible for the situation in which they find themselves. It is they who have been smearing excreta on their walls and pouring urine through cells doors. It is they who by their actions are denying themselves the excellent modern facilities of the prison [...] Each and every prisoner had been tried under the judicial system established in Northern Ireland by Parliament. Those found guilty, of the due process of law, if they are sent to prison by the courts, serve their sentence for what they are- convicted prisoners. They are not political prisoners. More than 80 have been convicted of murder or attempted murder and more than 80 of explosive offenses.“ (O´Day, S.87)

[19] Das Komitee gründete sich während einer Konferenz über die Belange der Gefangenen, die von dem ‘Relatives Action Committee’ organisiert wurde. Außer Sinn Féin nahmen daran die IRSP, People´s Democracy, das Gewerkschaftskommittee gegen Unterdrückung, Women Against Imperialism sowie einige kleinere Gruppen teil. (vgl. Schulze- Marmeling/ Sotschek, S. 125)

[20] Die Möglichkeit des Straferlasses wurde aufgrund des Decken- und Schmutzstreiks abgeschafft. (vgl. Taylor, S.229)
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